Vom 24. März 2022 bis zum 9. Juni 2022 zeigt die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek noch einmal die Kabinettausstellung „Wiederverwendet. Wiederentdeckt. Mittelalterliche Handschriftenfragmente als Bucheinbände“. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zwei besonders seltene Handschriftenfragmente des 13. Jahrhunderts, die erst 2019 im Altbestand der Forschungsbibliothek wiederentdeckt wurden. Daneben werden weitere wertvolle Fragmente aus dem Mittelalter präsentiert und die Überlieferung und Restaurierung solcher Stücke veranschaulicht. Bereits 2020 war diese Schau für kurze Zeit zu sehen, doch die rasche Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland erzwang nach wenigen Wochen eine vorzeitige Schließung der bis dahin sehr gut besuchten Präsentation. Das große Interesse war Anlass zur Wiederaufnahme der Ausstellung in das Veranstaltungsprogramm der RFB.
Anlässlich der Wiedereröffnung der Ausstellung bietet der Ausstellungskurator, Pfarrer Matthias Piontek, M. A., am Donnerstag, 24. März 2022, 18.00 Uhr, eine Sonderführung an. Um Anmeldung wird gebeten. Für die folgenden Wochen können weitere Führungen über das Sekretariat der RFB gebucht werden.
Bei einem der 2019 wiederentdeckten Handschriftenfragmente handelt es sich um ein Blatt des Nikodemus-Evangeliums, das Heinrich von Hesler ins Deutsche übertragen hat. Das Fragment wird auf die Zeit „um 1215-1225“ datiert und ist damit deutlich älter als alle bislang bekannten Textzeugen. Das apokryphe Passionsevangelium besaß im Mittelalter große Bedeutung und entfaltete bis in die frühe Neuzeit hinein eine reiche Wirkungsgeschichte in der mittelalterlichen Kunst und Literatur. Das zweite wiederentdeckte Fragment bietet einen Teil des sog. St. Trudperter Hohelieds, einer Auslegung des biblischen „Hohelied Salomos“. Das Fragment stammt aus einer Handschrift, die im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand, womit es zu den frühesten Textzeugen dieses Werkes gehört. Beide Fragmente wurden in Bucheinbänden von Drucken des 17. Jahrhunderts gefunden. Da geistliche Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts in deutscher Sprache sehr selten überliefert ist, bezeichnen Experten beide Fragmentfunde als Sensation.
Die weiteren Stücke, die in der Ausstellung gezeigt werden, stammen aus dem 9.-15. Jahrhundert. Einige der ausgestellten Fragmente gehören zu Handschriften medizinisch-pharmazeutischen, juristischen und geschichtlichen Inhalts, zumeist aber waren sie Teil liturgischer Handschriften, wie Missalen und Gradualen. Auch ein Brevier (Buch für Stundengebete) aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts befindet sich darunter. Ein Blatt eines lateinischen Psalters mit Interlinearübersetzung ins Altsächsische stammt aus dem 10. Jahrhundert. Diese beiden Stücke gehören zu den ältesten Schriftzeugnissen, die überhaupt in Wittenberg aufbewahrt werden.