Handschriften

Handschriften

Die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek verfügt in verschiedenen Bestandsgruppen über Handschriften des Mittelalters und der Neuzeit. Dabei handelt es sich um Dokumente im Eigentum des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg

Zum Bestand der Handschriften gehören zwölf mittelalterliche Handschriften, darunter eine Vollbibel, an der unterschiedliche Schreiber mitgewirkt haben. Von besonderer Bedeutung ist das sog. „Psalterium Wittenbergense“ (RFB PS A VI 6) mit einer alttschechischen Interlinearübersetzung des lateinischen Textes aus dem 14. Jahrhundert. Es handelt sich um eines der ältesten Zeugnisse der tschechischen Sprache. Auch illuminierte Handschriften finden sich im Bestand, so eine Pergamenthandschrift mit den Sentenzen des Petrus Lombardus. 

Ebenfalls gut erhalten ist ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Gebetbuch, bei dem vor allem die Malerei auf dem inneren Vorsatzblatt hervorsticht, in der unterschiedliche christliche Motive vereint sind. Die Handschrift enthält Gebete, deren erstes Wort jeweils "Jesus" lautet und bei dem die ersten Buchstaben einer jeden Zeile ebenfalls das Wort "Jesus" ergeben. 

Diese Handschriften wurden von Jutta Fliege beschrieben, ihre Publikation können Sie hier als PDF herunterladen:

Petrus Lombardus, Sentenzen, Pergamenthandschrift, Leipzig 1467.
© RFB PS B I 3
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Verzeichnis der Handschriften des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg

Darüber hinaus befinden sich in der RFB zahlreiche Fragmente mittelalterlicher Handschriften, die in späteren Jahrhunderten für Buchbindearbeiten verwendet wurden und sich so erhalten haben. Ein großer Teil dieser Fragmente befindet sich noch in situ und ist bisher nicht vollständig erfasst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veranlasste der damalige Direktor des Evangelischen Predigerseminars, Julius Jordan (1868–1928), jedoch eine Ablösung von ca. 100 Handschriftenfragmenten von ihren Trägerbänden. Leider erfolgte diese Maßnahme ohne hinreichende Dokumentation, sodass in den meisten Fällen keine genauen Aussagen zu den Trägerbänden möglich sind. Der Leipziger Antiquar Karl Wilhelm Hiersemann (1854–1928) ordnete die abgelösten Fragmente typologisch zu und datierte sie. Im Vorfeld der Kabinettausstellung „Wiederverwendet. Wiederentdeckt. Mittelalterliche Handschriftenfragmente als Bucheinbände“, die 2020 und 2022 in der RFB gezeigt wurde, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig die Zuordnungen der ausgestellten Fragmente überprüft und präzisiert.

Fragment (in situ) eines lateinischen Psalters mit altsächsischer Interlinearübersetzung, 10. Jhd.
© RFB PS HTh 677, Vorsatzblatt

Die Datierungen reichen vom 9. bis zum 16. Jahrhundert. Bei dem ältesten Stück handelt es sich um ein Brevier aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Von herausragender Bedeutung ist ein lateinisches Psalterfragment aus dem 10. Jahrhundert mit einer altsächsischen Interlinearübersetzung. Zudem sind hier zwei frühe deutschsprachige Dichtungen zu erwähnen, die erst 2019 wiederentdeckt wurden. Die Überlieferungssituation, die anschließende restauratorische Ablösung sowie die wissenschaftliche Dokumentation durch das Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek Leipzig beschreibt anschaulich dieser Blog-Beitrag: https://blog.ub.uni-leipzig.de/fragmente-schreiben-literaturgeschichte/.

In einem Fall handelt es sich um einen Abschnitt des St. Trudperter Hohelieds aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, womit dieses Stück nach einer vollständigen Wiener Handschrift und einem Nürnberger Fragment den drittältesten Textzeugen dieses Werkes darstellt. Noch älter ist ein Fragment des sog. Nikodemus-Evangeliums in der deutschen Versübertragung des Heinrich von Hesler, das auf die Jahre zwischen 1215 und 1225 datiert wird. Das Wittenberger Fragment ist der weltweit älteste Textzeuge. Weitere volkssprachige Bearbeitungen und mehrere hundert lateinische Handschriften bezeugen die Popularität, welche das „Evangelium Nicodemi“ im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit genoss. Einzelne Motive, wie beispielsweise die auch im Wittenberger Fragment beschriebene Höllenfahrt Christi, wurden in der bildenden Kunst vielfach dargestellt.

Die abgelösten Handschriftenfragmente bilden heute eine eigene Sammlung in der RFB, eine Übersicht befindet sich in Vorbereitung.

Zu verschiedenen Bestandsgruppen gehören außerdem ca. 300 Handschriften des 16. bis 19. Jahrhunderts. Hierbei handelt es sich zumeist um theologische und kirchenpolitische Texte, Zeugnisse aus dem akademischen Leben der Wittenberger Universität sowie um Handschriften aus dem Lehrbetrieb des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg. Ein Verzeichnis dieser neuzeitlichen Handschriften steht im Lesesaal der RFB zur Verfügung.

Handschriftliche Fassung der Abschiedspredigt des Wittenberger Theologieprofessors Franz Volkmar Reinhard (1753–1812), der 1792 zum Oberhofprediger nach Dresden berufen wurde.
© RFB PS Man 103

Fragen zum Bestand und zur Nutzung richten Sie bitte an info@rfb-wittenberg.de.

Die Handschriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt waren nicht Teil der Bibliothek des Lutherhauses Wittenberg und sind daher 2018 auch nicht in die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek eingegangen. Anfragen zu diesen Handschriften richten Sie bitte direkt an die Luthergedenkstätten.